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Otis Stadthagen

Die Rolltreppe in den Osten

24.10.2017 | Die Schaumburger Nachrichten haben am 08.10.2017 einen Artikel über das Stadthäger Otis-Werk geschrieben. Wie es dazu kam, dass das Werk geschlossen wurde. Welche Gründe sprachen für den Erhalt? Wie haben die Beschäftigten dafür gekämpft?

Quelle: pr.

STADTHAGEN. Buchstäblich weltbewegend waren einst die Rolltreppen aus dem Stadthäger Otis-Werk. Wie ein Phoenix hatte sich der Standort nach kräftiger Finanzspritze in den neunziger Jahren aus der Asche seines technischen Rückstands erhoben. Aber unerbittliche Rendite-Forderungen aus der amerikanischen Konzernzentrale in Connecticut, verbunden mit der Konkurrenz der Niedriglohnländer, zwangen die Produktionsstätte schon 2004 endgültig in die Knie.

In den Anfängen in den sechziger Jahren produzierte das Werk Verkehrsfahrtreppen und Fahrsteige, wie sie auf Flughäfen zu finden sind. Später kamen Rolltreppen für Kaufhäuser und Komponenten für Aufzüge hinzu. „Die waren sehr modern. Alle Kaufhäuser haben damals bei uns bestellt“, erzählt der frühere Betriebsrat Ali Naghi mit etwas Stolz.

Doch zu Beginn der neunziger Jahre sind die Aussichten finster: Maschinen, Fertigungsmethoden und Materialmanagement sind veraltet und unflexibel – wie das Entlohnungssystem. „In den Werkshallen hatten wir eine Situation wie um 1900“, erinnert sich Naghi. Ein sattes Minus von zehn Millionen Mark hatte Otis damit erwirtschaftet.

Fortschrittliches Arbeitszeitmodell

„In der Belegschaft wussten wir, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt Naghi. 1992 handelt der Betriebsrat eine Investition des Konzerns von 40 Millionen Mark in den Standort aus und macht im Gegenzug Zugeständnisse. Die Akkordobergrenze wurde auf 160 Prozent begrenzt, für eine neue Kaufhaustreppe wurde die Linienfertigung mit Gruppenarbeit und Prämienentlohnung sowie ein Gleitzeitmodell eingeführt.

„Danach arbeiteten wir in einer der modernsten Fabriken. Eine Werkshalle nannten wir wegen des Bodenbelags scherzhaft OP-Saal“, erzählt Naghi. „Wir konnten die Kosten senken und Qualität und Umsatz steigern. Das Arbeitszeitmodell war sehr fortschrittlich.“ Selbst die Gesundheit der Belegschaft habe sich genau wie die Arbeitsatmosphäre enorm verbessert.

Der Konzernführung reichten die erzielten 14 Prozent Rendite offenbar nicht aus. Weil im tschechischen Breclav niedrigere Löhne und Umweltauflagen lockten, sollte die Gerüstfertigung nach ersten Plänen schon 1993 ostwärts verlagert werden. Nach erneuten Verhandlungen in Stadthagen kamen 20 Mitarbeiter in anderen Bereichen unter, mit 40 weiteren wurden Aufhebungsverträge abgeschlossen.

Stadthagen attraktiver als Brasilien

1996 schloss der Konzern dagegen seine Produktionsstätten in Penang (Malaysia) und in Sao Paulo (Brasilien). „Stadthagen ist heute für Otis attraktiver als Brasilien und Malaysia“, lobte damals Jürgen Reuning, Otis-Geschäftsführer in Deutschland. Neben der höheren Effizienz habe auch die Entwicklung neuer Fahrtreppen am Schaumburger Standort dazu beigetragen.

 Trotz alledem trat 1998 Tschechien wieder auf den Plan. Als der Konzern Produktion von Hauptantrieb und Spannwagen von Berlin nach Breclav verlagerte, sollten die Stadthäger auch noch weitere Baugruppen dorthin abgeben. „Wir hatten das beste wirtschaftliche Ergebnis und zur Belohnung sollte unsere Mannschaft reduziert werden“, ärgert sich Naghi noch heute. Der Betriebsrat stimmte 1999 nach Verhandlungen dem Abbau von 140 Stellen gegen eine garantierte Standortsicherung zu, doch schon zum Ende des Jahres verlor Stadthagen auch noch die Fahrsteige an Breclav.

2001 folgte der nächste Einschlag. Die Konzernführung will die Fertigung der Fahrsteige nach China verlagern. Der Betriebsrat wollte sich mit einem 15 Punkte-Plan dem Vorhaben entgegenstellen, 2002 kam es zur letzten Schlichtung. Nur zwei Jahre später erfuhren die Mitarbeiter von der endgültigen Schließung des Werks im Radio. „Wir wussten überhaupt nichts davon. Die Kollegen waren drauf und dann, die Büros der Manager zu stürmen“, berichtet Naghi. Mit Mühe habe er sie beruhigen können.

Eine Demonstration auf dem Marktplatz bildete den Auftakt zum ereignisreichen Abgesang, der weite Kreise ziehen sollte. Doch auch Streik, Solidarität quer durch die politischen Parteien bis hoch zum Ministerpräsidenten und Protest in Berlin hielten die Schließung nicht mehr auf.  geb

Der Bericht erschien in der Printausgabe der Schaumburger Nachrichten am 09.10.2017 und wurde am Sonntag, den 08.10.2017 online veröffentlicht. Hier geht es zum Originalbericht.

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